13
Sep
2005

Liebesgeschichte mit Eselsohren

Ich war noch sehr klein, konnte aber schon lesen - muss also mindestens dreieinhalb gewesen sein - als mir mein Vater einmal eine Postkarte aus seiner Heimat schickte. Darauf war ein Esel abgebildet und der Text lautete »Grüße aus Norddalmatien«. Da ich als gute Enkelin meiner katholischen Großmutter für mein Alter auch schon ungewöhnlich bibelfest war, wusste ich, dass auch Jesus auf einem Esel geritten war, so dass ich später noch lange glaubte, Jesus käme ebenfalls aus Dalmatien, wo auch immer das sein mochte. Ihn haben, wie man sagt, irgendwelche bösen Menschen getötet, so dass ich mir sicher war, dass auch diese im Norden Dalmatiens lebten.

Viel später, als die bösen Menschen auch meinen Vater längst geholt hatten, fing ich an, diese Gegend regelmäßig zu besuchen. Esel gab es zur Zeit meiner Jugend wenige, dafür um so mehr Ziegen. Kurz nachdem meine Großmutter zum ersten Mal ein Pferd angeschafft hatte, kam der Krieg und sie wurde vertrieben. Danach musste ich ein paar Sommer ohne Ziegen und Maultiere verbringen, was mir sehr schwerfiel. Doch auch böse Menschen geben irgendwann Ruhe, und bald kehrte auch meine Großmutter zu ihren Ziegen zurück.
Die Landschaft dort eignet sich hervorragend zur Genesung von jedwedem Stress und Kummer, und so kam ich auch in jenem Sommer, um mich mal wieder von allem zu erholen. Da traf ich einen weisen, halbwilden Mann mit strahlend blauen Augen, der mir voller Stolz seine Eselfarm zeigte. Der Alte hatte schon lange nicht mehr mit Menschen geredet, so dass er sehr bald sehr ausführlich wurde. Kräuterschnaps floss in Strömen, und ich erinnere mich noch sehr gut an die Geschichte, wie alles begonnen hatte.
Er erzählte mir, dass er zunächst zwei Eselinnen und einen Esel angeschafft hatte. Die Stuten waren sehr unterschiedlich, eine klein, hager, grau und struppig, die andere kräftig, glänzend und bräunlich. Der Esel brüllte immer genau zur Mittagszeit und um Mitternacht, und die Eselinnen liebten es, sich im Wassereimer zu spiegeln. Als die Zeit der Paarung gekommen war, ließ er den Kerl zu den Mädels, der Arme konnte sich aber vor Erregung kaum halten, so dass er auf die größere losging und ihr einen Teil des Ohrs abbiss. Er hatte wohl noch nicht so recht begriffen, welche hervorstehenden Körperteile eigentlich für die Liebe gemacht sind. Der Alte trennte die Esel aus Sorge vor weiteren Verstümmelungen wieder nach Geschlechtern, in der stillen Hoffnung, dass es vielleicht dreizehn Monate später doch junge Esel geben würde. Dieser Wunsch ging jedoch nicht in Erfüllung.

Eines Jahres kam eine junge, sehr kluge Tierärztin ins Dorf zu Besuch. Der Alte beschwerte sich bei ihr, dass es ihm nicht gelungen war, die Esel zur Fortpflanzung zu animieren, da sie sich immer gegenseitig die Ohren abbeißen würden. Sie schaute ihm tief in die Augen und sagte etwas wie »wahre Liebe muss auch schmerzhaft sein«. Sie kicherte und erzählte ihm, dass der erste Mann, der ihr eine Liebeserklärung machen wollte, sie dabei heftig ins Ohr gebissen hatte. Seitdem hätte sie beschlossen, jedes Mal, wenn sie sich verlieben würde, dem Menschen zunächst Schmerzen zuzufügen. »Lassen sie die Esel ruhig einander beißen«, sagte sie vergnügt, »sie werden sich schon nicht umbrigen dabei«. Unmittelbar danach wurde die kleinere Eselin trächtig. Vier Monate vor dem Eselfohlen wurde der Tierärztin ein Sohn mit stahlblauen Augen geboren.

Ich betrachtete die mittlerweile über vierzig Esel und stellte fest, dass die Weibchen fast alle angeknabberte Ohren hatten. Die Ohren des Alten waren jedoch groß und sehr gesund. Ich fragte mich, ob und wohin ihn die Tierärztin wohl gebissen hatte.

Mir wurde nach diesem Sommer von einer Wahrsagerin ein Jahrzehnt ohne Liebeskummer prophezeit. Merkwürdigerweise betrachte ich seit dieser Zeit nach besonders heißen Liebesnächten morgens im Spiegel meine Ohren immer überaus sorgfältig.
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